Was verstehen wir unter PDA?
Wir wollen im Folgenden mit unseren eigenen Worten unsere Beobachtungen und unser Verständnis von PDA teilen, die aus unserem Austausch unter betroffenen Eltern, im Diskurs mit vielen verschiedenen Teilnehmer:innen und in Auseinandersetzung mit der Forschung innerhalb der letzten eineinhalb Jahre entstanden sind.
Im Rahmen der Arbeit in der Community ist auch eine Umfrage mittels einer Erweiterung des EDA-Q (Extreme Demand Avoidance-Questionnaire) entstanden. Hier werden auch die „typischen“ Merkmale von PDA abgefragt. Mehr dazu hier.
Woran erkenne ich, ob mein Kind vielleicht im PDA-Profil ist?
Hier eine Auswahl an Indikatoren:
- ausgeprägtes Bedürfnis, Dinge schon sehr früh auf seine Art zu tun
- mitunter vehementes Ablehnen von Hilfe/Anleitung/Ratschlägen
- großes Bedürfnis nach Augenhöhe und Gleichwertigkeit mit Erwachsenen
- schon früh Dysregulation durch zu viele Anwesende (>2 Personen)
- emotionale Zusammenbrüche („Meltdowns“) nach scheinbar „normalen“ Anforderungen (z.B. Geburtstagsfeiern, Kindergarten, Schule, Hausaufgaben, Spieltreffen, Ausflügen …)
- auffälliges Bedürfnis, Situationen kontrollieren zu wollen (z.B. Regieführen beim Spiel, Bestimmen, auf Regeln bestehen, …)
- Verzweiflung, wenn es die Kontrolle verliert (reagiert z.B. mit Rückzug, Angriff, Erstarren oder auch Überanpassung)
- Emotionale Ohnmacht, wenn es Autonomie einbüßen muss (reagiert z.B. mit Rückzug, Angriff, Erstarren oder auch Anpassung)
- …
Hier haben wir eine Blanko-Version unserer überarbeiteten EDA-Q Variante zum Download hinterlegt, anhand derer eine eigenen Einschätzung anhand gängiger Kriterien möglich ist.
Woher kommt dieses PDA-Verhalten?
Die Ursachen für diesen PDA-Symptomkomplex sind noch nicht hinreichend erforscht. Der aktuelle Stand der Forschung weist auf eine Kombination aus genetischen, neurologischen, psychologischen und Umwelt-, bzw. Beziehungsfaktoren hin (vgl. z.B. Attwood&Garnett). Allem zugrunde liegt eine abweichende Neurologie (~ Neurodivergenz, z.B. Autismus-Spektrum und/oder Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) mit einem sehr sensiblen, leicht zu dysregulierendem Autonomen Nervensystem und einer überaktiven Amygdala, die für ein deutlich erhöhtes „Anxiety“- (Stress-) Level sorgen (vgl. z.B. Chou-Knecht). Die Neurodivergenz kann zudem noch die sogenannte „Intoleranz gegenüber Unsicherheit“ und eine durch drohenden Kontrollverlust verursachte Anxiety mit sich bringen, was dazu führen kann, dass Menschen mit PDA-Profil mit einem Schutzmechanismus ihres Nervensystems reagieren: Anforderungen werden vermieden. Die Funktion der Reaktion ist dabei der Schutz und die Schonung ihres sensiblen, immer von Dysregulation bedrohten Nervensystems. Daher finden wir „Protective Demand Avoidance“ sehr viel passender als „Pathological Demand Avoidance“.
Was sind Anforderungen?
Im Kontext von PDA ist es wichtig zu verstehen, dass ALLES als Anforderungen wahrgenommen werden kann: Ansprache, Aufforderungen, Schilder, Regeln, Belohnung, Lob, Kritik, Selbstverständlichkeiten des Alltags, Anwesenheit von Personen, …
Je nach Regulations-Zustand des Nervensystems ist die Wahrnehmung von Anforderungen ALS Anforderungen ausgeprägter, was zur Folge hat, dass heute gewissen Dinge klappen können und am nächsten Tag wieder nicht.
Was passiert, wenn es zu viele Anforderungen gibt?
Werden die Anforderungen und Erwartungen im Umfeld nicht reduziert und die Person kann über die Schutzreaktion keine Sicherheit herstellen, können die Panik-Modi des Nervensystems aktiviert werden: Die Person reagiert nicht mehr „nur“ mit Verweigerung, sondern mit den instinktiven Überlebensreaktionen Fight (Kampf), Flight (Flucht), Freeze (Einfrieren) und Fawn (Überangepasste Reaktion auf das Gegenüber). Die Reaktionen Fight und Flight werden dabei als externalisierend und Freeze und Fawn als internalisierend verstanden. Wird die Person weiter und/oder wiederholend der Situation ausgesetzt, kann es zum emotionalen Zusammenbruch (Meltdown) oder vollkommendem Rückzug (Shutdown) kommen.
Viele Personen im PDA-Profil erleben ein in sich Hin- und Hergerissen Sein, zwischen „Wollen aber nicht Können“. Gerade mit Einsetzen der Pubertät gelingt es den Personen das zunehmend auch in Worte zu fassen und nicht nur durch Panik- und Schutzreaktionen (z.B. „aggressives Verhalten“, Zerstörung, verbale Attacken, …) zu kommunizieren. Dieses „Wollen aber nicht Können“ bringt diese pda-typische Lähmung mit sich, die wie eine Verweigerung aussehen kann, im Grunde jedoch einer Schutzreaktion und/oder einer Ohnmacht gleichkommt.
Eine anhaltende, wiederkehrende Überforderung durch z.B. gesellschaftlichen Anforderungen (Schule, Freundschaften, altersbedingt zunehmende Erwartungen, …) bedingt leider häufig einen autistischen Burnout, in welchem alle exekutiven Funktionen zum Erliegen kommen. Die Person braucht mehrere Monate oder sogar Jahre, um sich von diesem Burnout wieder zu erholen.
Herausforderungen in der Familie
Um die von außen beobachtbaren Reaktionen auf die Überforderung des Nervensystems nicht als unkontrolliertes, aufmüpfiges, unerzogenes oder oppositionelles Verhalten zu interpretieren, ist das tiefere Verständnis des Zusammenhangs von sensiblem Nervensystem aufgrund der Neurodivergenz und der Schutzreaktion auf dessen Überforderung so wichtig.
Das fehlende Verständnis für diese komplexen Zusammenhänge im familiären, aber auch systemseitigen Umfeld der Familien, bringt betroffene Familien oft in eine doppelt schwierige Lage: einerseits das Stemmen des herausfordernden Alltags unter Berücksichtigung der Regulations-Bedürfnisse des Kindes und andererseits die Anstrengungen um Anerkennung und Unterstützung im systemseitigen Umfeld (Kindergarten, Schule, Einrichtungen, Helfersystem).
Wirkliche Veränderung in den Familien bringt in erster Linie die Reflexion der Haltung zum Kind. Hierfür unterstützend eignen sich Strategien, die als „low demand“ (anforderungsreduziert) oder sogar – besonders im Burnout – als „no demand“ (anforderungsfrei) bekannt sind. Auch die sog. PANDA-Strategien eignen sich, um einen anforderungsreduzierten Rahmen zu schaffen, in dem sich die Nervensysteme der Personen mit PDA-Profil regenerieren und stabilisieren können. Noch einen Schritt weitergedacht, könnte man auch von Erwartungsreduzierung gegenüber der Person mit PDA-Profil sprechen. Denn solange die Haltung von Erwartungen geprägt ist, bleibt alles eine Anforderung.
Diverse bereits vorhandene Informationen im Netz, z.B. die „helpful approaches“ der PDA-Society für Familien, sowie auch die Selbsthilfegruppen der PDA-Initiative, können hier konkret helfen.
Weiterführende Informationen und Quellen
Zu den historischen und medizinischen Hintergründen zu PDA ist schon viel geschrieben worden. Wir verweisen sehr gern auf den Fachverein PDA der, mit der Expertise von Dr. Nicole Chou-Knecht, eine umfängliche Einführung in das Thema PDA gibt. Auch die PDA Society liefert sehr gute Inhalte rund um PDA. Eine aus unserer Sicht sehr gelungene Einführung in die Zusammenhänge von PDA findet sich auch im Vorwort von Dr. Nicole Chou-Knecht in „Ein glücklicheres Leben für dein Kind mit PDA“ (Alice Running, 2021; deutsche Übersetzung erschienen im Kirja-Verlag 2024). Im englischsprachigen Raum können wir die Beiträge, Webinare und Veröffentlichungen von Prof. Tony Attwood empfehlen, der sich zusammen mit Dr. Michelle Garnett aus klinischer Sicht mit Autismus, ADHS und PDA beschäftigt.